Bruckgasse

 Inkognito und trotzdem erkannt

 

Das ehemalige Hotel und Gasthaus Lehner in der Bruckgasse ist eines der älteren Pinkafelder Bürgerhäuser. Es war bis in die 70er Jahre des 20. Jhs. ein beliebter Treffpunkt der Pinkafelder und ein gern besuchtes Quartier für Gäste und ist somit ein stummer Zeuge der Geschichte Pinkafelds. Heute wird es als Wohnhaus in Privatbesitz genutzt. Das bedeutendste Ereignis war der Besuch des ehemaligen Kaiser Karl I. im Jahr 1921.

Der ehemalige Kaiser von Österreich, Karl I., versuchte im Frühjahr 1921 die Macht als König in Ungarn zu übernehmen. Bei diesem ersten Restaurationsversuch nahm er seinen Weg über Pinkafeld nach Ungarn. So kehrte er inkognito am Karsamstag, dem 26. März 1921, in Begleitung des Grafen Thomas Erdödy im Hotel Lehner zum Mittagessen ein. Danach setzte er in der Lohnkutsche des Hotels seinen Weg bis Großpetersdorf und von dort im Auto des Grafen nach Steinamanger fort. Dieser erste Versuch der Machtübernahme in Ungarn scheiterte, ebenso wie ein zweiter Versuch im Oktober 1921.

Hier wird der Originalbericht des Hoteliers Lehner über dieses Ereignis wiedergege­ben, der sich im Landesarchiv in Eisenstadt befindet:

„Ich berichte wahrheitsgemäß über den Besuch des letzten Monarchen Österreichs in meinem Gasthaus. Der Grund zu diesem Besuch ist hinlänglich bekannt. Es mag sein, dass sich infolge der vielen Jahre, die zwischen damals und heute liegen, in meine Erinnerung belanglose Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, aber insgesamt ist mir dieses geschichtliche Ereignis noch klar in Erinnerung.

 Am Karsamstag des Jahres 1921 hielt vor meinem Gasthaus ein Auto, dem zwei distin­guierte Herren entstiegen. Das Fahrzeug kam von Sinnersdorf. Es war in der Mittagsstunde. Die beiden Herren betraten das Gastlokal und nahmen im Extrazimmer Platz. In der Gaststube waren einige einheimische Gäste anwesend. Der Kraftfahrer (es war der Kraftfahrer des Prinzen Renée, wie sich später herausstellte) versorgte inzwi­schen einige elegante Lederkoffer. Zu mir sagte er: “Herr Wirt, kennen Sie diese Herren?“ „Ich werde doch den Grafen Erdödy kennen!“ gab ich zur Antwort. Einer der beiden Herren war mir nämlich schon lange bekannt, es war der Graf Thomas Erdödy aus Rotenturm. Den zweiten Herrn kannte ich nicht, obwohl mir seine Gesichtszüge irgendwie bekannt vorkamen. Die Augen wurden durch Autobrillen, wie sie damals üblich waren, verdeckt, dazu hatten die Brillen noch schwarzes Glas. Der fremde Gast legte diese Brillen auch während des späteren Mittagessens nicht ab. Auf meinen Hinweis an den Grafen Erdödy, dass mir sein Begleiter bekannt vorkäme und dass ich diesen Herrn schon irgendwo gesehen hätte, gab der Graf zur Antwort, dass dies vollkommen ausgeschlossen sei, den jener Herr wäre der Vertreter des spanischen „Schwarzen Kreuzes“. Darauf bestellte er das Mittagessen. Es gab Naturschnitzel mit Essiggurken. Die Speisen wurden durch meine Frau Anna Lehner zubereitet. Da das Mittagessen anscheinend mundete, bestellte der fremde Gast in französischer Sprache ein weiteres Schnitzel. Ich beherrsche aber die englische Sprache besser als die französische, daher fragte ich bei dieser Gelegenheit auf englisch, wohin die Reise ginge. Die Antwort kam in fließendem englisch: „Zu Graf Erdödy nach Rotenturm.“

Graf Thomas Erdödy verließ mehrere Male das Gasthaus, um zu telephonieren. Er war offensichtlich nervös, denn ihm wurde fernmündlich mitgeteilt, dass sein eigenes Auto, welches zur Weiterfahrt benötigt wurde, eine Panne hätte. Das Auto des Prinzen Renée durfte nicht weiter, da keine Reisegenehmigung (Triptik) vorlag. So äußerte schließlich Graf Erdödy den Wunsch, meinen Pferdewagen zur Weiterfahrt zur Verfügung zu stellen. Ich sagte zu, obwohl die Pferde an diesem Tage schon zweimal in Pinggau waren. Aus diesem Grunde musste die Pferdefütterung abgewartet werden. Um 17 Uhr war mein Kutscher Johann Huhlfeld zur Abfahrt bereit. Ich meldete dem Grafen den fahrbereiten Wagen in deutscher Sprache. Der fremde Gast erhob sich darauf sofort von seinem Platz, er verstand also auch die deutsche Sprache. Das fiel mir auf! – Die Rechnung wurde von dem Unbekannten bezahlt. Für die Zeche und als Fuhrlohn erhielt ich 100 Schweizer Franken. Ich meinte, das wäre zuviel. Darauf der Gast in englischer Sprache: „Nehmen Sie nur, Hegedüs ist Finanzminister und da steigt der Wert des Pengös!“

In Oberwart bewegte sich gerade die Auferstehungsprozession durch die Hauptstraße. Deshalb wurde das Pferdegespann in einem Gasthaus (späteres Gasthaus Neubauer) eingestellt. Als die Prozession vorüberzog, knieten die beiden Herren nieder. Bald ging es weiter. Hinter Oberwart nahm der vermeintliche Spanier die Autobrillen von den Augen und wurde vom Kutscher sofort erkannt. Dieser Kutscher hatte als ehemaliger Soldat bei irgendeiner Gelegenheit Kaiser Karl früher gesehen. Die Fahrt ging bis nach Großpeters­dorf. Bei Herrn Scheu stiegen die beiden Fahrgäste vom Wagen, der Kutscher aber konnte die Rückfahrt antreten. Spät in der Nacht meldete er bei mir seine Rückkehr und meinte aufgeregt: „Herr, wissen Sie, wen ich heute gefahren bin? Den Kaiser!“ Für mich bedeutete der Besuch Kaiser Karls etwas ganz Großes. Heute bewahre ich noch das Trinkglas des Kaisers als Erinnerungsstück auf. Das Essbesteck des Kaisers und die 100 Franken wurden im Jahre 1945 von den russischen Soldaten aus dem Panzerschrank genommen. Viel wurde über diese geschichtliche Begebenheit geschrieben, aber nicht alles entspricht den Tatsachen. (Bgld. LA. XII/2-304)

(aus J. K. Homma u. a.: Geschichte der Stadt Pinkafeld, 1987, Seite 90 f.)

Dieses außerordentliche Ereignis ist bis heute in Pinkafeld in Erinnerung geblieben. So haben im März 1996 Schüler der 4. Klassen der Volksschule im Rahmen eines Projektes das Theaterstück „Kaiser Karl in Pinkafeld“, das von HOL Christine Kern verfasst worden ist, aufgeführt. Das Trinkglas ist als einziges Erinnerungsstück noch im Besitz der Nachkommen der Familie Lehner.

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Quelle :© Mag. Rudolf Köberl, 2019
Foto: VOL Gerhard Gerger; Pixabay
Dieser Beitrag ist gefördert vom Land Burgenland

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